F: Was ist Hingabe? Alle sprechen davon, wie wichtig sie ist, aber es ist schwer eine klare Erklärung finden.
Ngakma Shardröl: Die beste Definition, zu der ich gekommen bin, ist „Harmonie mit dem Lama“. So wie keinerlei Widerstand, verbunden mit einer in jeder Hinsicht starken Anziehung zu dieser Person, vor allem aber, diese Person als eine tatsächliche Verkörperung des erleuchteten Zustandes zu sehen.
F: Hingabe wird auch als eine „intelligente Emotion genannt“. Was heißt das?
Ngakma Shardröl: Ich denke, sie ist „intelligent“ im Sinne von harmonisch sein mit der Realität. Es ist intelligent (natürlich) von der Qualität der Erleuchtung angezogen zu sein, wenn wir einen flüchtigen Schimmer davon einfangen, hauptsächlich in der Form von etwas, das uns irgendwie freudiger und freier erscheint, als wir uns sonst fühlen.
F: Wie sind andere Beispiele von intelligenten Emotionen?
Ngakma Shardröl: Hmmm, sich in jemanden verlieben, der sich in dich verliebt? Das Gefühl von Dingen angezogen zu sein, die edel und heroisch sind, etc? Sich wünschen, Wesen zu helfen, die Hilfe benötigen.
F: Ist es das Empfinden dafür, was wesentlich für Hingabe ist oder was man tut. Oder ist beides erforderlich?
Ngakma Shardröl: Es ist beides. Das Gefühl beeinflusst die Praxis und die Praxis erzeugt das Gefühl. So ist es eine Art von selbst-verstärkender Dynamik.
F: Ist es richtig zu sagen, dass Hingabe nichts ist, das man verstehen muss, man muss es nur tun?
Ngakma Shardröl : Gut, da ich unbedingt verstehen möchte, beginne ich zu denken, dass ich vielleicht nicht verstehen kann, ich kann es nur erfahren. Aber ich würde auch nicht sagen dass „man es nur tun muss“ – es ist mehr so, dass man es möglich macht, es geschehen zu lassen. Die äußere Form der Hingabe kann bewusst praktiziert werden, aber nur die äußere Form. Man kann versuchen die Sicht im Geist zu halten, aber grundsätzlich erzeugt sie sich von selbst von innen her oder gar nicht. Die äußerlichen Formen können eine Art Weg sein, aber das ist alles …
F: Hingabe wird als „jemandes Erleuchtung sehen“ beschrieben. Könnte man dies nicht ohne eine bestimmte Emotion tun?
Ngakma Shardröl : Ich würde nicht genau sagen „jemandes Erleuchtung sehen“. Eher als sie zu erfahren und in diesem speziellen Augenblick sie zu teilen, oder einen Aspekt davon und wissen und erfahren, das wirklich die einzige mögliche Art des Erkennens ist. Man kann nicht wirklich jemandes Erleuchtung von außen „sehen“ ; man kann sie nur von innen her „erfahren“. Aus einem Grund, den ich nicht im Besonderen verstehe, scheint diese Erfahrung von großen Emotionen begleitet zu sein. Wie kann man auch nicht emotional sein, wenn man 40 Jahre in einem Käfig eingeschlossen war und sich dann plötzlich einen Augenblick lang außerhalb findet, nicht einmal mehr in demselben Universum, und diese Erfahrung geschah dank der Intervention eines anderen Wesens? Letztlich würde man verflixt noch mal äußerst dankbar sein, stelle ich mir vor.
F: Würdest du sagen dass Emotion für Hingabe entscheidend ist?
Ngakma Shardröl: Ich weiß nicht sehr viel darüber, Emotion als Weg zur zur Hingabe zu wählen, aber ich würde sagen, dass Hingabe ihre eigene Emotion erzeugt, dies ist unvermeidbar.
F: Wenn jemand eine gut entwickelte Fähigkeit für eine reine Vision hat, könnte man die Erleuchtung vieler Menschen sehen. Man hätte dann nicht für alle Hingabe, nicht wahr? Oder?
Ngakma Shardröl: Schön, wie ich schon sagte, ich denke nicht dass Hingabe bedeutet, die Erleuchtung von jemandem zu sehen. Eher, sie zu erfahren. Wie könnte man eine gut entwickelte Fähigkeit für reine Vision haben, ohne eine gut entwickelte Fähigkeit, seine eigene angeborene Erleuchtung wertzuschätzen? Ich denke, wenn jemand sich selbst im allgemeinen als unerleuchtet sieht, aber gelegentlich Erfahrungen des erleuchteten Zustands hat, die durch die Beziehung zum Lama ermöglicht wurde, dann fühlt man Hingabe für diesen Lama. Wenn man eine gut entwickelte Fähigkeit für Vision hat und allgemein Erfahrungen der Erleuchtung von vielen Menschen hat, dann würde das, was man ihnen gegenüber fühlt, nicht Hingabe sein, sondern Bodhicitta. Man möchte alles nur Erdenkliche tun, um der Person zu ermöglichen, diese Erleuchtung selbst zu erfahren.
F: Es heißt, dass einige Schüler tiefe positive Gefühle für authentische Hingabe halten. Wie ist es möglich die beiden zu unterscheiden?
Ngakma Shardröl: Ich denke, sehr häufig gibt es keinen Unterschied, vor allem am Anfang. Aber jede Art von tiefem positivem Gefühl kann sich durch die Erfahrung der Praxis in aufrichtige Hingabe wandeln. Wenn man dem Lama vertraut, braucht man sich wegen des Unterscheidens der Nuancen seiner positiven Einstellung nicht beunruhigen. Man kann einfach darauf vertrauen, dass der Lama auf eine nützliche Art und Weise damit arbeiten wird. Wenn es nur so etwas wie Schwärmerei ist und nicht wirklich seriös, wird es sich wahrscheinlich verflüchtigen, wenn die Erwartungen enttäuscht werden, was unvermeidlich auftreten wird. Vielleicht kannst du beschreiben, wie du auf den Unterschied zwischen Hingabe und Vernarrtheit reagierst.
F: Hingabe wird manchmal verglichen mit sich verlieben. Auf welche Art ist es gleich und worin liegt der Unterschied?
Ngakma Shardröl: Es ist ähnlich dem Gefühl von intensiver Anziehung und kann sogar ähnlich den Gefühlen von Eifersucht, Besitzrecht und allen Arten anderer Neurosen der „Romanze“, die dazukommen, sein. Der Unterschied ist, dass die Person, in die du dich verliebst, nicht die gleichen irreführenden Muster anwendet. Sie arbeiten unaufhörlich zu deinem Wohl, sodass, abgesehen von der Enttäuschung eigener Erwartungen und anderer Versionen des Nichterhaltens dessen, was man sich wünscht (das gelegentlich Anfälle von Verdrossenheit verursacht), die Situation vom Lama beeinflusst wird, um des Schülers Erleuchtung zu erleichtern. Und da das Gefühl von Liebe, egal wie täuschend, eine große Menge von Dankbarkeit enthält, kann es sich als etwas weniger neurotisch entfalten.
F: Ist es im Buddhismus normal seine eigene spirituelle Vollendung abzustreiten oder herabzusetzen?
Ngakma Shardröl: Nicht immer. Ich glaube nicht, dass es eine Art von Bedürfnis der buddhistischen Etikette, Ethik oder sogar Stil ist, spirituelle Vollendung abzustreiten oder abzuschwächen. Auch wird es nicht (von den Vollendeten) als Vollendung oder gar als etwas Besonderes erachtet. Wenn der einzige Punkt aller Aktivitäten der ist, allen Wesen zu nützen, dann müsste es eine Situation geben können, in der es hilfreich wäre, sich auf das eigene spirituell Erreichte zu beziehen als etwas, das erreicht wurde und darüber auf diese Weise zu sprechen. Aber wenn wir versuchen, den natürlichen Zustand zu erreichen (was an sich komisch ist, zu versuchen etwas zu erreichen, das wir bereits sind), dann ist es wahrscheinlich nicht sinnvoll, es als eine Art große Sache oder Vervollkommnung zu sehen. So zu denken erzeugt möglicherweise Probleme. Jedoch denke ich, dass es Zeiten geben kann, in denen Lamas ziemlich offen über ihre eigenen Erfahrungen sprechen, wenn sie glauben, dass es für den Schüler wirklich nützlich ist.
F: Ist es normal, überzogen über die Intensität seiner Hingabe zu sprechen?
Ngakma Shardröl: Du bezeichnest es als übertrieben, aber ich denke, es ist es nicht.
F: Dies ist normalerweise verknüpft, das verwirrt mich.
Ngakma Shardröl: Wenn du es als überzogen bezeichnest, klingt es, als wäre es nicht real, hingegen nimmst du an, dass versteckte „Vollendungen“ real sind. Ich frage mich, warum das so ist .
F: Wirklich Realisation bei jemandem wahrzunehmen, erfordert ein nicht konzeptuelles Verstehen der Realisation…
Ngakma Shardröl: Ich würde sagen, dass es der Erfahrung der eigenen Realisation bedarf, selbst nur für einen Moment.
F: Wenn man jemandes Erleuchtung völlig erkennen könnte, könnte man dann die eigene, schon immer da gewesene erleuchtete Natur erkennen?
Ngakma Shardröl: So ist es.
F: Um die eigene, anfangslose Erleuchtung zu erkennen, muss man erleuchtet sein. Also, wenn ich das richtig verstehe, zu sagen, „ich habe große Hingabe“, würde gleichbedeutend mit „ich habe große spirituelle Vollendung“. Jedoch, ersteres klingt zu bescheiden und das andere zu arrogant. Wieso?
Ngakma Shardröl: Nun, das führt wieder dahin zurück, die Erleuchtung anderer zu erkennen als Hingabe zu definieren, womit ich nicht besonders einverstanden bin. Ich denke, Hingabe ist eher die enorme Dankbarkeit, die durch einen erhaschten Schimmer der eigenen erleuchteten Natur entsteht und dem gleichzeitigen Verstehen, dass dies ein Resultat des Lamas ist. Es ist keine Frage von Demut oder Arroganz oder Vollendung oder Ähnlichem. Wie ich vorher sagte, ich denke nicht, dass Menschen ihre spirituelle „Vollendungen“ aus Demut leugnen, sondern weil es nicht hilfreich ist, sie so zu sehen oder andere dazu zu ermuntern.
F: Ist es richtig zu sagen, dass der Glaube an Wunder (verkörpert durch den Lama) als Grundlage für Hingabe charakteristisch für das äußere Tantra ist?
Ngakma Shardröl: Nicht so sehr der Glaube an Wunder, aber möglicherweise ist die Erwartung, dass die Erleuchtung des Gurus in diesem Stil erkennbar wird, charakteristisch für das äußere Tantra. Als Basis für Hingabe ist er unsicher, denn er ist ziemlich primitiv und vortäuschend (in der Vorstellung, dass sich Erleuchtung auf diese Art zeigen muss und ansonsten nicht wahrgenommen werden könne).
F: Und im inneren Tantra sollte Hingabe eher im Glauben an das höchste Siddhi, d.h. den erleuchteten Geist (auch verkörpert im Guru), basieren?
Ngakma Shardröl: Nicht so sehr Glauben als Erfahrung. Aber ich vermute, Glaube ist ein guter Start bis zur Erfahrung. Und ich meine Erfahrung in dem Sinn, dass man wirklich weiß, unter der Führung dieses Lehrers diesen Praktiken zu folgen, wird in der Erleuchtung enden.