Die Ngak-’phang Sangha oder Gö kar chang lo (gos dKar lCang lo) ist farbenfroh, individualistisch und höchst vielfältig. Ngakpas und Ngakmas bzw. Naljorpas und Naljormas sind ordinierte, Roben tragende Mitglieder dieser Tradition. Sie sind weder „Laien“, noch „monastisch“, noch „etwas dazwischen“ und trotzen allen Versuchen, sie in eine ordentliche Kategorie einer autoritären Institution einzuordnen. Sie sind ein paralleler Strom der Praxis zu der besser bekannten monastischen Sangha und repräsentieren eine Möglichkeit für Menschen im Westen, sich dem Buddhismus zu verpflichten, ohne zölibatär zu werden.
Die meisten, die ein wenig mit dem Buddhismus vertraut sind und das Lesen einiger grundlegender Bücher hinter sich haben, werden wissen, dass das vorherrschende Bild der buddhistischen Praxis monastisch ist. Sie werden wissen, dass dies insbesondere wahr ist für den Osten und es ist ebenfalls teilweise wahr für den Westen – besonders im Bezug auf die etablierten Zentren. Viele, die an buddhistischen Belehrungen im Westen teilgenommen haben, werden sie von Mönchen oder Nonnen erhalten haben; oder falls nicht, möglicherweise Erklärungen von Laienschülern monastischer Lehrer gehört haben. Einige von diesen Laien waren möglicherweise Ex-Mönche oder -Nonnen und andere waren möglicherweise scholastisch geneigte Studenten von zölibatären Lehrern.
Wir werden versuchen, die Menschen im Westen über Traditionen zu informieren, die nicht so bekannt sind, wie die monastischen Traditionen. Wir ermöglichen in einer kühnen, entschlossenen und wohlüberlegten Bemühung einen Zugang zu etwas, das ziemlich versteckt ist (aber im Westen immer weniger verborgen ist als im 20. Jhd.) – aber das bereits seit der Entstehung des buddhistischen Tantras in Indien besteht – die Ngak-’phang Tradition. Wir werden damit beginnen, einige Wörter zu untersuchen. Lassen Sie uns mit dem Terminus Ngak-’phang Sangha[1] beginnen.
„Ngak“ (sNgags)ist das tibetische Gegenstück des Sanskrit Wortes „Mantra“. „Mantra“ ist ein Wort, das auf verschiedene Weisen verstanden werden kann, je nach Tradition – besonders bezogen auf die „New-Age“-Konzepte. Dies ist möglicherweise nicht die Gelegenheit, das Wort „Mantra“ genau oder umfassend zu definieren. „Mantra“ bedeutet „das, was den Geist schützt“, aber „ngak“ ist keine exakte Übersetzung davon. „Ngak“ bedeutet „Spruch“, „Wort“ oder „Wort der Macht“, je nach Kontext. Sang-Ngak-Chö-Dzong Publikationen übersetzen dies üblicherweise als „Gewahrseins-Spruch“, um ein wenig von dem Geschmack zu vermitteln, wie dieser Terminus verstanden wird. Es ist ein „Spruch“ in dem Sinne, dass es etwas unübliches oder außergewöhnliches vollbringt; aber es ist verbunden mit dem Bewusstsein. In diesem Zusammenhang bedeutet Bewusstsein „Rigpa“ – der nicht-duale Zustand von unmittelbarer Präsenz. In diesem Sinne kommt „Bewusstseinsspruch“ der Bedeutung von „Mantra“ sehr nahe – das, was den Geist schützt.
„Phang“ bedeutet „machtvoll“. „Phang“ bedeutet „die Macht und die Autorität zu haben, etwas zu nutzen“. Es bedeutet, das Geschick und die Erfahrung zu haben, etwas zu vollbringen und hier ist das Werkzeug oder die Methode etwas zu vollbringen „ngak“. Verbunden mit dem Wort „Ngak-’phang“ sind die Worte „Ngakpa“ und „Ngakma“(sNgags pa / sNgags ma or sNgags mo). Pa und ma bedeutet – fast was es im englischen und deutschen impliziert – männlich und weiblich. Ein Ngakpa ist ein männlicher Ngak-’phang Praktizierender, eine Ngakma eine weibliche Ngak-’phang Praktizierende. Wir gebrauchen lieber das Wort „Sangha“ statt des tibetischen Wortes „Gendün“; ganz einfach deshalb, weil dieses Wort „Sangha“ in der westlichen buddhistischen Welt zu bekannt ist, als dass wir das tibetische Wort benutzen wollen. Unser vorrangiges Ziel ist es, zu kommunizieren!
„Sangha“ wird je nach Tradition unterschiedlich verstanden. Einige Traditionen – ganz besonders in der Theravada Tradition und der tibetischen Gelug-Schule – verstehen „Sangha“ als Gemeinschaft der Mönchen und Nonnen. Andere Traditionen schließen alle aktiven Praktizierenden in die Sangha ein. Wenn wir zwischen diesen beiden Definitionen wählen müssten, würden wir die mehr einschließende Definition wählen – aber zum Glück gibt es da noch mehr Definitionen. In der Nyingma[2] Tradition ist es üblich, die Anhänger eines Lamas als seine oder ihre Sangha zu beschreiben und diese Definition ist ebenfalls üblich unter Ka-gyüd und Sakya Lamas. Das ist tatsächlich ein brauchbarer Weg, dieses Wort zu benutzen und es stimmt mit dem Verständnis einer spirituellen Vereinigung überein, die wichtig ist, wenn Buddhismus für Menschen im Westen brauchbar sein soll. Da gibt es jedoch einen Gebrauch des Wortes „Sangha“, in dem wir von der „ordinierten Sangha“ oder „Sanghas“ sprechen – da gibt es zwei. Diese ordinierten Vereinigungen sind die rote Sangha der Mönche und Nonnen, und die weiße Sangha der Ngakpas und Ngakmas. Dies ist etwas, was nur in der Nyingma Tradition existiert. Es gibt auch Ngakpas und Ngakmas in der Sakya und Ka-gyüd Schule, aber diese sind nicht als Sanghas definiert. Das spezielle Merkmal der Nyingma Schule ist die Tatsache, dass sie den Wert der Ngak-’phang Ordination als gleichwertig mit der monastischen Ordination und als einen der beiden Flügel der Nyingma Tradition betrachtet.
Seit der Zeit des Königs King Trisong Détsen (740-798), saßen die rote und weiße Sangha der Nyingma Tradition auf der rechten und linken Seite der Versammlung der Praktizierenden. In der Zeit des Königs Ralpachen (regierte 815-836, ermordet 836) gab es eine berühmte Begebenheit, in der König Ralpachen seine langen Haare entflochten hatte und sie so auslegte, dass beide Sanghas auf seinem Haar saßen. Die rote Sangha saß auf seiner rechten Seite, die weiße Sangha auf seiner linken Seite. Hierdurch drückte er aus, dass er die ordinierten Sanghas größer als sich selbst als König betrachtete. Dies war einer der Höhepunkte in der Geschichte der weißen Sangha; aber ironischerweise auch der Punkt, an welchem Ralpachens Bruder so aufgebracht war, dass dieser sich entschloß, ihn zu ermorden. Dieser gewalttätige Bruder von Ralpachen war kein anderer als der berüchtigte Langdarma. Er wird oft porträtiert als Befürworter des Bön, aber das ist nicht ganz richtig – er war tatsächlich einfach ein Fürsprecher der Monarchie und von sich selbst.
Unter dem frühen schamanischen System Tibets (nicht zu verwechseln mit Bön wie wir ihn heute kennen) war der König mehr oder weniger ein Pharaoh. Er war nicht nur derjenige, der die wichtigste Position des Landes einnahm, sondern war ein „Gott-König“ und die Religion diente ihm in einer ähnlichen Weise, wie wir das aus dem alten Ägypten kennen. Mit dem Auftauchen des Buddhismus jedoch(und besonders des Vajrayana), hat sich diese Stellung radical verändert. Als Padmasambhava nach Tibet kam, erwartete König Tri-song Détsen, ihn als Gleichgestellten zu treffen, wurde aber umgehend mit seiner eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert. Padmasambhava versengte König Tri-songs Bart mit einem Blick; und der König – erkennend, wo er in Bezug zu Padmasambhava stand – machte umgehend Niederwerfungen. Dieser Punkt markierte das Ende der Rolle des Gott-Königs in Tibet während der ersten Asubereitungswellde der Lehren.
Die Rolle des Gott-Königs kehrte zurück, wenn auch in einer sehr veränderten Form, in der zweiten Ausbreitungswelle des Buddhismus in Tibet, in der Person des Dala’i Lama. Diese Entwicklung geht auf Changchub Od und Yeshi Od zurück und war dazu gedacht, Vajrayana als religiöse From zu kontrollieren. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Gö kar chang-lo’i dé verfolgt und Vajrayana nur innerhalb voh Klöstern als “sicher’ erachtet.
Die Hauptattacken Langdarmas – nach dem Brudermord und seiner dann errungenen Souveränität – galten den klösterlichen Institutionen. Er zerstörte Klöster, zwang Mönche zu heiraten und die Bön-Religion anzunehmen. Er hatte auch die Absicht, den gö kar chang-lo’i dé zu zerstören aber er sah davon ab, da sich viele Bön Praktizierende sich dem buddhistischen Vajrayana zugewandt hatten durch die Inspiration von Padmasambhava und Yeshé Tsogyel. Langdarmas Absicht war auch, die wichtigsten Ngak-’phang Praktizierenden zu verjagen. Als er aber mit Nubchen Sang-gyé Yeshé zusammenstieß, änderte er seine Absicht. Nubchen Sang-gyé Yeshé (bsNubs chen sangs rGyas ye shes – einer der 25 Schüler von Padmasambhava und Yeshé Tsogyel) manifestierte einen Skorpion in der Größe eines Yaks über Langdarmas Kopf. Der eingeschüchterte König beschloss dann, es sei ausreichend, lediglich die Klöster zu unterjochen. Nach der Ermordung von Chö-gyal Ralpachen waren es die Ngak-’phang Lamas, die die Nyingma Linien am Leben erhielten. Sie genießen daher hohes Ansehen in der Nyingma Schule. Wäre dies nicht durch die Ngak-’phang Sangha geschehen, wären die Nyingma Linien ausgestorben. Die Geschichte dieser Periode ist tatsächlich viel komplexer und detaillierter, als wir dies hier beschrieben haben. Aber wir hoffen, dass dies als eine Einführung in unsere alte und farbenfrohe Tradition ausreicht.
Der Gö kar chang-lo’i dé ist tatsächlich eine
wundervolle Möglichkeit für diejenigen, die vom Buddhismus nicht aber vom Zölibat
ispiriert sind. Leider ist dies auch etwas bedrohlich für diejenigen, die den Buddhismus
vorrangig als monastisch sehen und die es als ihre Pflicht betrachten, das Mönchstum als
Einrichtung des westlichen Buddhismus vorherrschend zu etablieren. Viele Menschen ziehen nur zwei
Möglichkeiten innerhalb des Buddhismus in Betracht: „monastisch“ oder
„Laie“; und die „Laien“-Möglichkeit wird meist als untergeordnet
betrachtet, es sei denn man ist ein tibetischer Tulku (der entweder die monastischen Gelübde
aufgegeben hat oder diese nie erhalten hat). Aber „Laie“ ist ein Wort, das von vielen
Buddhisten, die die englische oder deutsche Sprache gebrauchen, benutzt wird, um damit
„nicht-zölibatär“ auszudrücken. Dies ist unglücklich, denn die
aktuelle Definition im Wörterbuch ist:
Laie 1. verbunden oder zugehörig zu
Leuten, die nicht Geistliche sind.
2. Nicht-Professioneller oder Nicht-Spezialist; Amateur.
Da gibt es beides: zölibatäre und nicht-zölibatäre Tulkus – aber sie sind nicht „Laien-Tulkus“ oder „Laien-Lamas“. Kein Lama kann als nicht-professionell oder als Nicht-Spezialist beschrieben werden. Es gibt Lamas, die weder eine monastische noch eine Ngak-’phang Ordination halten, besonders in der Dzogchen Tradition, aber sie sind keine Laien-Lamas. Das Wort „Laie“ zu benutzen, um damit „nicht-monastisch“ auszudrücken, führt zur Verwirrung, weil man so nicht-zölibatäre Orden als nicht buddhistisch bezeichnet. Eine Zeit politischer Sensibilität rät zur Vorsicht mit der Sprache; wir sollten auf das nachlässige Vorurteil achten, das einer Klassifizierung von nicht-zölibatären Praktizierenden als „Laien“ innewohnt. Judentum, Christentum und Islam haben alle nicht-zölibatäre Geistliche und es wäre höchst respektlos, sie als Nicht-Professionelle, Nicht-Spezialisten oder Amateure zu klassifizieren – ganz zu schweigen als „Nicht-Kleriker“.
Die Ngak-’phang Ordination basiert auf den 14 Wurzel-gelübden des Vajrayana (mit gut 100 Nebengelübeden) und ist daher verschieden von den Vinaya-Ordination der Mönche und Nonnen. Die ngak’phang Ordination basiert auf dem Prinzip derTransformation statt auf dem Prinzip der Entsagung. Ordinierte Mitglieder der Ngak’phang Sangha leben nicht zurückgezogen und enthalten sich nicht des Alkohols. Sie können als Einsiedler im halb-offenen Retreat leben, als wandernde Yogis und Yoginis oder mit Familien. Ordinierte Ngak’phang Praktizierende können als Herrscher oder Untertan leben, als Aristrokraten oder Plebejer, als Bauern oder Nomaden, Handwerker oder Händler, aber in welcher Erscheinung auch immer, sie sind nie das als was sie von außen erscheinen. Sie benutzen ihre Stellung in der Gesellschaft als Bestandteil ihrer Praxismethode zur Befreiung.
1. Aussprache: Keine westliche Sprache scheint ein „ng“ als Laut am Wortanfang zu haben. Das macht es für die meisten Menschen schwierig, „ngak“ auszusprechen. Wir haben diesen Laut in der Mitte von Worten – wie z.B.: Hunger, singen, Sänger. Wir haben es auch am Ende von Worten – z.B. Hang, Gesang. Wir können ihn tatsächlich ziemlich gut aussprechen. Alles was wir tun müssten, ist den Laut statt in der Mitte oder am Ende des Wortes an den Anfang zu setzen und es so auszusprechen. Man kann üben, indem man ein Wort mit „ng“ in der Mitte nimmt und einfach den Anfang des Wortes weg lässt. Dann kommen wir zum Vokal. Es gibt keinen harten Vokal im tibetischen, also einfach „ah“. Grundsätzlich werden die Vokale wie im deutschen ausgesprochen; das gleiche gilt für die Umlaute ä, ö, ü. Dann haben wir „Phang“, dass nicht etwa „Fang“, sondern „Pang“ ausgesprochen wird. Im Tibetischen ist „ph“ ein aspiriertes „p“.
2. Nyingma bedeutet alt und ist der Name der ältesten Vajrayana Tradition in Tibet. Sie ist eher eine Tradition als eine Schule da sie sich nicht als Schule entwickelt hat wie die anderen Schulen. Nyingma war einfach der Buddhismus wie er von Padmasambhava, dem zweiten Buddha, und von Yeshé Tsogeyel, dem ersten tibetischen Buddha, in Tibet gelehrt wurde. Heute besteht diese Tradition aus einer Reihe heterodoxer Linien.